KW 4Die Woche, in der wir uns durch 892 widerspenstige Seiten wühlten

Die 4. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 14 neue Texte mit insgesamt 113.347 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.

Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz Śmigielski

892 Seiten. So umfangreich ist das neueste PDF zur KI-Verordnung (AI Act), einem Mammutprojekt, mit dem die EU den Einsatz von sogenannter Künstlicher Intelligenz regeln will. Seit Langem hatte es um ein Gesetzesvorhaben nicht mehr so ein Drama und Gezerre auf den letzten Metern gegeben. Selbst nach der mündlichen Einigung zwischen Parlament, Rat und Kommission Ende Dezember war lange nicht klar, was denn nun im eigentlichen Text stehen würde.

Seit Montag hat das Warten ein Ende, denn da hat der Brüsseler Journalist Luca Bertuzzi die kompletten 892 Seiten des Kompromisstexts auf Twitter (neuerdings X) mal eben selbst veröffentlicht. Sie bilden den bisher aktuellsten Stand der verschriftlichten Einigung ab. Die Veröffentlichung beschreibt Bertuzzi als bis dahin einmalige Aktion, die dem großen öffentlichen Interesse geschuldet sei.

Wer das Dokument einmal selbst geöffnet hat, bemerkt sofort: Klarheit sieht anders aus. 892 Seiten Text, verteilt auf vier Spalten; immer wieder sind Passagen in Rot durchgestrichen. Ihr könnt euch die Lektüre genauso schrecklich vorstellen, wie sie auf den ersten Blick scheint. Die ersten drei Spalten bilden die Postionen von Kommission, Parlament und Rat ab. Und dann kommt, in einer alles bestimmenden vierten Spalte, der Kompromiss, also das, was später das Gesetz werden soll.

Was seitdem abläuft, erinnert an eine Schnitzeljagd.

Denn in diesem Wust gilt es nun, die größten Klopper ausfindig zu machen. Und davon gibt es eine Menge zu finden. Es geht etwa um den Einsatz biometrischer Gesichtserkennung, mit der Menschen an der Grenze oder auf Demos überwacht werden können, oder um Technologien, die vorgeben, unsere Gefühle vorherzusagen. Es geht um Anwendungen, die so gefährlich sind, dass wir sie in der EU komplett verbieten wollen.

Zerren bis zum Schluss

Wird die EU es schaffen, nicht nur die Grundrechte ihrer vielen Millionen Bürger*innen zu schützen, sondern auch die Rechte von Menschen, die sich auf der Flucht vor Krieg und Gewalt auf den Weg in die EU machen? Bis zuletzt haben Parlament und Mitgliedstaaten an der Einigung gezerrt – ja, sie zerren immer noch daran. Das Parlament brachte weitere Hürden zum Schutz von Grundrechten ein, der Rat wollte sie wieder niederreißen.

Und so habe ich mich die vergangenen Tage vor allem damit abgemüht, in diesem Heuhaufen aus Paragraphen rauf- und runterzuscrollen, nach Schlagworten zu suchen und zwischen Absätzen hin- und her zu springen. Denn schon ein kleiner Satz kann wieder kaputt machen, was in vorangegangenen Verhandlungen erarbeitet wurde. Immerhin wusste ich bei der Arbeit, dass es meinen Kollegen Sebastian und Daniel gerade genauso geht. Und mit Sicherheit sitzen gerade auch viele weitere Menschen von Brüssel bis Berlin vor diesem PDF – sie haben mein Mitgefühl.

Das Ergebnis unserer Analyse haben wir nun veröffentlicht: Hier findet ihr die Antworten auf die sieben quälendsten Fragen zur KI-Verordnung. Ich ahne schon, wir werden in den nächsten Monaten und Jahren noch sehr viel mehr Zeit mit der Nase in diesem Text verbringen. Dass wir das tun können, verdanken wir auch euren Spenden. Deswegen an dieser Stelle nochmal Danke, ihr seid wundervoll.

Ein erholsames Wochenende wünscht euch

Chris

Offener Brief zur Chatkontrolle„Die EU-Mitgliedstaaten müssen sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen“

In einem offenen Brief appellieren dutzende kleine und mittlere Unternehmen an die Minister:innen von EU-Ländern, sich gegen die von der EU-Kommission geplante Chatkontrolle zu stellen. Das Vorhaben würde sich negativ auf die Privatsphäre und die Sicherheit von Kindern im Internet auswirken, warnen die Unterzeichner:innen.

Lesen Sie diesen Artikel: „Die EU-Mitgliedstaaten müssen sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen“

Digitale-Dienste-GesetzBundeskriminalamt erwartet Meldungen im Minutentakt

Eine Hürde muss das Digitale-Dienste-Gesetz noch nehmen, bevor Deutschland seine Gesetze vollständig an den Digital Services Act angepasst hat. Auf den letzten Metern könnte der Bundestag die Regeln noch spürbar verbessern, meinen Vertreter:innen der Zivilgesellschaft. Vor allem die ausufernde Übermittlungspflicht an das Bundeskriminalamt bereitet vielen Sorgen.

Lesen Sie diesen Artikel: Bundeskriminalamt erwartet Meldungen im Minutentakt

VerschlüsselungThorn brachte Chatkontrolle auch für andere Themen ins Spiel

Ashton Kutchers Organisation Thorn war von Anfang an der Entstehung der Chatkontrolle-Verordnung beteiligt. Neue Dokumente zeigen, mit welchen Aussagen Thorn die EU-Kommission lobbyiert hat – unter anderem verwies die Organisation auch auf die Möglichkeiten der Chatkontrolle abseits des Kampfes gegen Kindesmissbrauchs.

Lesen Sie diesen Artikel: Thorn brachte Chatkontrolle auch für andere Themen ins Spiel

0 Ergänzungen

Wir freuen uns auf Deine Anmerkungen, Fragen, Korrekturen und inhaltlichen Ergänzungen zum Artikel. Bitte keine reinen Meinungsbeiträge! Unsere Regeln zur Veröffentlichung von Ergänzungen findest Du unter netzpolitik.org/kommentare. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.